30. November 2021 – dpa
Rot-grün-roter Koalitionsvertrag steht
Rot-grün-rot setzt auf mehr Neubau und mehr Klimaschutz...
SPD, Grüne und Linke in Berlin stellen Koalitionsvertrag vor, Foto: Carsten Koall/dpa
Mit mehr Neubau, mehr Maßnahmen zum Klimaschutz, besseren Angeboten im Öffentlichen Personennahverkehr und höheren Investitionen in eine funktionierende Verwaltung wollen SPD, Grüne und Linke Berlin in den kommenden fünf Jahren voranbringen. Nach fünf Wochen zum Teil langwieriger Verhandlungen haben die drei Parteien, die in der Hauptstadt weiter gemeinsam regieren wollen, am Montag im Abgeordnetenhaus ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Er trägt den Titel «Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch, Vielfältig. Wirtschaftsstark».
SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey kündigte an, sie habe sich einen Ausgleich zwischen Innenstadt und Randbezirken, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Fußgängern, Radfahrern und Nutzern des öffentlichen Personennahverkehrs vorgenommen. «Wir wollen, dass wir eine Arbeit leisten, die die Berlinerinnen und Berliner stolz sein lässt auf ihre Stadt», sagte sie. Berlin müsse sich gleichzeitig als wettbewerbsfähige Weltstadt profilieren.
Unter anderem will die Koalition in der geplanten neuen Regierung ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen mit kommunalen und privaten Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften auf den Weg bringen. Der Wohnungsneubau soll laut Koalitionsvertrag «mit höchster Priorität» vorangebracht werden. Vorgesehen sind 20 000 neue Wohnungen pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren.
SPD, Grüne und Linke in Berlin stellen Koalitionsvertrag vor, Foto: Carsten Koall/dpa
Zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen in Berlin haben sich die drei Parteien auf die Einsetzung einer Expertenkommission geeinigt. Sie soll Voraussetzungen und Möglichkeiten der Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids prüfen und nach einem Jahr eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen. Giffey kündigte außerdem an, die Situation in den Bürgerämtern zu verbessern, in denen Berliner zuletzt oft wochenlang auf Termine warten mussten.
Auch beim Ausbau des ÖPNV soll es nach dem Willen der drei Parteien deutlich vorangehen. Dazu zählen die Verlängerung mehrerer U-Bahn-Linien wie der U3 bis Mexikoplatz und der U7 bis zum Flughafen BER. Die E-Bus-Flotte soll erweitert werden. Neue Tram- und Busverbindungen zum Stadtrand und ins Umland sind genauso vorgesehen wie neue Radschnellwege.
Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch kündigte an, künftig solle es höhere Parkgebühren und ein verpflichtendes Gästeticket als weitere Einnahmequellen geben, um den ÖPNV-Ausbau mitzufinanzieren. Eine generelle Citymaut, wie sie vor der Wahl in der Diskussion war, ist dagegen nicht vorgesehen.
SPD, Grüne und Linke in Berlin stellen Koalitionsvertrag vor, Foto: Carsten Koall/dpa
Klimaschutz soll zur Querschnittsaufgabe für alle Senatsverwaltungen werden. Mehrere Förder- und Investitionsprogramme für Solaranlagen sollen ermöglichen, bis 2035 ein Viertel des Strombedarfs in der Hauptstadt auf diesem Weg zu decken. Den Kohleausstieg in Berlin will die Koalition laut Vertrag «möglichst vor 2030» umsetzen.
Linken-Vorsitzende Katina Schubert sagte, der Koalitionsvertrag trage auch eine linke Handschrift. Ihrer Partei seien vor allem der Wohnungsneubau und die Mietenregulierung wichtig.
Die Koalitionsverhandlungen der drei Parteien, die in Berlin seit 2016 zusammen regieren, hatten am 22. Oktober begonnen. Während der Gespräche hatten SPD, Grüne und Linke schon etliche Punkte des geplanten Regierungsprogramms vorgestellt. Dem müssen die Parteigremien und bei der Linken die Mitglieder allerdings noch zustimmen, bevor der neue Senat die Arbeit aufnehmen kann. Ist das passiert, will sich Giffey am 21. Dezember im Abgeordnetenhaus zur Regierenden Bürgermeisterin wählen lassen.
Das hat Rot-Grün-Rot in Berlin vor
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken in Berlin soll am Montag vorgestellt werden. Die drei Parteien haben sich viel vorgenommen. Eine Auswahl:
VERKEHR/MOBILITÄT
- Konkrete Planungen für fünf U-Bahn-Verlängerungen (U2 bis Pankow Kirche, U3 bis Mexikoplatz, U7 zum Flughafen BER und bis Heerstraße, U8 zum Märkischen Viertel), möglichst Baubeginn an der U3
- Tangentialverbindung Ost als wichtiges Straßenbauprojekt inklusive S-Bahn und Radwegen
- Seilbahn in den Gärten der Welt in Marzahn wird Teil des ÖPNV-Netzes
- Ausbau der E-Bus-Flotte
- neue Tramlinien, neue Expressbuslinien zum Stadtrand und ins Umland
- neue Rad- sowie Radschnellwege
KLIMASCHUTZ
- Kohleausstieg wird um ein bis zwei Jahre auf 2028/2029 vorgezogen
- Mehrere Förder- und Investitionsprogramme für Solaranlagen, um bis 2035 ein Viertel des Strombedarfs in Berlin daraus zu decken
- Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, etwa mehr Stadtgrün, ein Flächenentsiegelungsprogramm und Hitzeaktionspläne
- Klimaschutz wird als Querschnittsaufgabe für alle Senatsverwaltungen definiert
- Verzicht auf Festlegung neuer Klimasschutzziele. Momentan ist im Energiewendegesetz festgelegt, die klimaschädlichen CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 70 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken und bis spätestens 2045 um mindestens 95 Prozent.
WOHNEN/MIETEN
- 20 000 neue Wohnungen pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren mit Hilfe eines neuen Förderprogramms
- Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen mit kommunalen und privaten Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften
- Expertenkommission soll Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen prüfen und nach einem Jahr eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen
- Kein Wohnungsbau auf dem Tempelhofer Feld
BILDUNG
- Einführung der Verbeamtung von Lehrern als Instrument gegen Fachkräftemangel
- Neues Verfahren für den Übergang von der Grundschule zum Gymnasium für Schüler ohne Empfehlung für das Gymnasium
- Schaffung neuer Kitaplätze
- Fortsetzung der Investitionsoffensive bei Schulbau und -sanierung
INNERE SICHERHEIT
- Videoüberwachung von Orten mit viel Kriminalität
- Mehr Personal für Polizei, Justiz und Feuerwehr, mehr Ausbildung solcher Fachkräfte
- stärkeres Vorgehen gegen organisierte Kriminalität unter anderem mit Fokus auf Vermögensabschöpfung
- Evaluierung des Verfassungsschutzes unter wissenschaftlicher Begleitung
- Mehr Blitzer gegen Raser und mehr Verkehrskontrollen
EXTREMISMUS
- Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln
VERWALTUNG
- Modernisierung und Digitalisierung der Behörden, mehr Bürgerfreundlichkeit
- jeder soll innerhalb von 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt bekommen
WIRTSCHAFT/ARBEIT
- Förderprogramm «Neustart Berlin» für durch die Corona-Pandemie besonders geschädigte Branchen wie Gastgewerbe, Hotel- und Veranstaltungswirtschaft, Messe, Einzelhandel und Kultur
- Erhöhung des Vergabemindestlohns von 12,50 auf 13 Euro die Stunde
MIGRATION und INTEGRATION
- Mehr Einbürgerungen: bis zu 20 000 pro Jahr als Fernziel statt bisher etwa 7000
- Erweiterung des Landesaufnahmeprogramms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Frauen, Kinder oder schwer traumatisierte Menschen
MÜLL
- stärkeres Vorgehen gegen die Vermüllung der Stadt, unter anderem durch regelmäßige Angebote zur kostenlosen Abholung von Sperrmüll
- Berliner Stadtreinigung (BSR) soll in mehr Parks als bisher für Sauberkeit sorgen und diese Aufgaben von den Bezirken übernehmen
Franziska Giffey (l-r, SPD), Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen) und Katina Schubert (Die Linke), Foto: Annette Riedl/dpa
Der weitere Fahrplan für die Regierungsbildung in Berlin
SPD, Grüne und Linke in Berlin wollen am Montag ihren Koalitionsvertrag vorstellen. So sieht der weitere Fahrplan zur Regierungsbildung aus (Stand: Freitag):
3. Dezember: Mitgliederentscheid der Linken beginnt
4. Dezember: Linken-Parteitag berät über den Koalitionsvertrag
5. Dezember: SPD-Parteitag stimmt über den Koalitionsvertrag ab
12. Dezember: Grünen-Parteitag stimmt über den Koalitionsvertrag ab
17. Dezember: Linken-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag endet
21. Dezember: Die SPD-Vorsitzende Franziska Giffey soll im Abgeordnetenhaus zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt werden. Im Anschluss wird voraussichtlich die Senatoren-Riege ernannt und vereidigt.