14. Juni 2020 – dpa

Fragen & Antworten zur Corona-Ampel

Erste Wochen mit der Corona-Ampel - Bewährung oder Verwirrung?

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Ampel, Foto: Carsten Rehder/dpa

Grün, gelb, rot: Vor rund vier Wochen hat der Berliner Senat zur Bewertung der Corona-Lage ein Ampelsystem beschlossen. Es soll dem Senat rechtzeitig ein Zeichen geben, wenn sich die Lage in der Pandemie so verschlimmert, dass eingegriffen werden muss. Zu ersten Erfahrungen mit dem Berliner Sonderweg hat dpa Fragen und Antworten zusammengestellt.

WIE FUNKTIONIERT DIE AMPEL?

Der Senat nennt die Idee «Infektions-Ampel» oder «Corona-Ampel». Man muss sich darunter genau genommen drei Ampeln vorstellen: eine für die Reproduktionszahl (kurz R-Wert, beschreibt die Dynamik des Infektionsgeschehens), eine für Neuinfektionen im Verhältnis zur Einwohnerzahl und eine für die Belegung von Intensivstationen mit Covid-19-Patienten. Für jeden dieser drei Indikatoren wurden Grenzwerte definiert: Werden sie überschritten, wechselt die entsprechende Ampelfarbe auf Gelb oder Rot. Bei zwei gelben Ampeln, so hat es der Senat angekündigt, solle die Problematik erörtert werden, bei Doppel-Rot bestehe dringender Handlungsbedarf.

MACHEN DAS ANDERE BUNDESLÄNDER AUCH SO?

Soweit bekannt, nicht. Bund und Länder hatten sich vielmehr auf eine Obergrenze bei den Infektionszahlen verständigt. Danach müssen Landkreise oder kreisfreie Städte ein konsequentes Beschränkungskonzept umsetzen, wenn mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gezählt werden. Aus Sicht des Berliner Senats war das in einer Großstadt keine praktikable Lösung, der Wert wurde als zu hoch angesehen.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) zieht ein positives Zwischenfazit: «Die Corona-Ampel bewährt sich.» Auch über Berlin hinaus sei das System auf Interesse gestoßen, was etwa Anfragen von Journalisten zeigten. Regierungschef Michael Müller (SPD) hatte das Modell kürzlich per Videokonferenz auch Partnerstädten in aller Welt vorgestellt, darunter London, Los Angeles und Moskau.

WIE SEHEN DIE ERFAHRUNGEN DER ERSTEN WOCHEN AUS?

Die Ampeln für Neuinfektionen und Krankenhausbetten waren bislang durchgängig grün. Die R-Wert-Ampel aber schien phasenweise das Stoppsignal zu geben: Sie sprang auf Rot, weil der Wert drei Tage in Folge über die als kritisch definierte Schwelle rutschte: Zeitweise steckte ein Infizierter laut der Schätzung im Schnitt mehr als 1,2 andere Menschen an. Um die Pandemie zu bremsen, werden jedoch Werte unter 1 angestrebt. Die rote Ampel blieb jedoch dank Grünlicht bei den anderen beiden Kriterien folgenlos - Medienberichte und Gespräche im Senat ausgenommen.

WAS HALTEN PRAKTIKER WIE AMTSÄRZTE VON DER AMPEL?

Aus der Sicht von Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid wirkt sie plakativ - aber nutzlos. Der R-Wert komme auf komplizierte Art zustande. «Man muss seine Limitierungen kennen. Wenn sich Infektionen zum Beispiel innerhalb größerer Ausbruchsgeschehen abspielen, hat das mit der Allgemeinbevölkerung nichts zu tun.» Solche Zahlen könnten die Farbe der Ampel aber stark beeinflussen. Dabei hätten sie keine Bedeutung für die ganze Stadt. «Die Koppelung der drei Werte ist wahllos und ohne inneren Sinnzusammenhang», urteilt Larscheid. «Dadurch wird die Ampel auch nach einem Monat nicht besser.»

KANN MAN MIT DER AMPEL EINEN ÜBERBLICK BEHALTEN?

Bürgern die Ampel-Systematik zu vermitteln sei schwierig - und das in einer Phase, in der es gelte, das Vertrauen der Menschen nicht zu verspielen, sagt der Stadtrat für Gesundheit und Soziales im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner (CDU). «Dass wir jetzt zweimal über mehrere Tage eine rote Ampel hatten, war ja die Falle der kleinen Zahlen.» Wagner meint damit, dass der R-Wert bei sehr niedrigen, täglich gemeldeten Neuinfektionen starken Schwankungen unterliegen kann - darauf hatte auch das Robert Koch-Institut (RKI) zur Entwicklung bundesweit immer wieder hingewiesen. Die Anfälligkeit für Ausreißer ist der Grund, aus dem das RKI inzwischen zusätzlich einen geglätteten R-Wert ausweist. Dieser wird in den täglichen Ampel-Updates zwar von der Gesundheitsverwaltung genannt, für die Ampelfarbe spielt er aber keine Rolle.

WIE DENKEN EXPERTEN AUßERHALB BERLINS DARÜBER?

Der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig begrüßt auf dpa-Anfrage, dass bei der Berliner Ampel verschiedene Aspekte und nicht nur eine Kennzahl berücksichtigt würden. Auch die Motivation, den Menschen etwas intuitiv Verständliches anbieten zu wollen, wertet er als sinnvoll. Gleichzeitig bringe die Kommunikation der Systematik, bei der die Indikatoren in einer Und-/Oder-Abhängigkeit zueinander stehen, Schwierigkeiten mit sich.

Für die Grobeinschätzung der Lage hält Krause das Instrument für geeignet, aber die Politik müsse sich auch Spielräume erhalten, Maßnahmen nicht strikt von den Indikatoren abhängig zu machen, ergänzte er. Etwa wenn sich ein Wert in einer nicht vorhersehbaren Situation als ungeeignet herausstelle. Krause hat noch einen Kritikpunkt: Über die Frage, wo die Grenzwerte, etwa für den R-Wert, angelegt werden, könne man streiten. «Manche Experten würden sagen, dass nur ein R-Wert unter 1 für eine grüne Ampel stehen dürfte.» Dies sei diskussionswürdig.

WAS BEDEUTET DIE AMPEL FÜR DIE TÄGLICHE ARBEIT DER GESUNDHEITSÄMTER?

Die Bezirke konzentrierten sich auf die Nachverfolgung der Kontaktpersonen von Infizierten, schildert Stadtrat Wagner aus Charlottenburg-Wilmersdorf. «Das System ist nicht das Optimum. Aber solange wir in Ruhe arbeiten können, stört uns das Flackern einer der Ampeln nicht. Uns interessiert erst Doppel-Rot.» Also eine Schaltung, die tatsächlich Konsequenzen hätte. Welche, das habe der Senat aber nicht genau definiert, moniert Wagner. Deshalb sei der Blick auf die Ampel durchaus mit Respekt verbunden. Wagner verweist außerdem auf die Gefahr, dass der R-Wert und die Zahl der Neuinfektionen auch kurzzeitig nach oben gehen könnten, etwa durch Ausweitung der Tests und Aufspüren asymptomatischer Patienten: «Sollten wir dann aus diesem Grund Lockerungen wieder zurücknehmen?»

WELCHE ERGÄNZUNGEN ODER ALTERNATIVEN WÄREN MÖGLICH?

Amtsarzt Larscheid wünscht sich, dass die Erkenntnisse, die Wissenschaft und Gesundheitsämter bislang in der Pandemie gewonnen haben, von der Politik konsequenter kommuniziert werden. So habe die Notbetreuung gezeigt, dass Kitas und Schulen vergleichsweise sichere Orte seien. Kinder steckten sich nach den bisherigen Erfahrungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes vorwiegend bei ihren eigenen Eltern an. Diese Information hält Larscheid für Hunderttausende Berliner für sehr wichtig. Ebenso sinnvoll sei es, gefährdete Gruppen klar zu benennen.

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