25. Februar 2021 – dpa
Initiative will große Immobilienkonzerne enteignen - Volksbegehren startet... Fragen & Antworten!
Saftige Mieten, lange Schlangen bei Besichtigungen, zu wenige Neubauten, Umwandlung in Eigentum, Verdrängung: In Berlin hat sich bei Mietern wie Wohnungssuchenden in den letzten Jahren viel Frust aufgebaut. Seit einem Jahr gilt deshalb ein bundesweit einmaliger Mietendeckel, also staatliche Obergrenzen für alle vor 2014 erbauten Mietwohnungen. Nun droht Vermietern weiteres Ungemach: Eine Bürgerinitiative will Wohnungskonzerne enteignen. Am Freitag (26. Februar) startet sie dazu eine Unterschriftensammlung mit dem Ziel eines Volksentscheides. Fragen und Antworten:
Warum sollen Wohnungskonzerne in Berlin enteignet werden?
Das Bündnis «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» will nach eigenen Worten den «Mietenwahnsinn» beenden und der «Spekulation durch Finanzinvestoren» einen Riegel vorschieben. Die Idee: Mit einer Vergesellschaftung des Eigentums von Konzernen soll langfristig bezahlbarer Wohnraum gesichert werden. Wohnen sei ein Grundrecht und keine Ware, mit der sich Unternehmen bereichern könnten.
Was heißt eigentlich enteignen?
Das Wort Enteignung erinnert an die Nazizeit oder an das SED-Unrecht in der DDR, als Menschen gegen ihren Willen Eigentum weggenommen wurde. Enteignungen gibt es aber auch heute - dabei werden die Betroffenen entschädigt. Das ist im Grundgesetz im Artikel 14 geregelt. Ein Beispiel: Für den Bau einer Eisenbahnstrecke müssen Wohnhäuser weggebaggert werden.
Die Berliner Initiative argumentiert indes mit dem Folgeartikel 15, der nach Angaben von Verfassungsrechtlern noch nie zur Anwendung kam. Darin heißt es: «Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.» Das Gesetz, so die Forderung, soll auf Landesebene beschlossen werden.
Wen würde das Ganze treffen?
Ziel ist die Enteignung gewinnorientierter Konzerne mit mehr als 3000 Wohnungen. Etwa ein Dutzend Unternehmen mit zusammen rund 240 000 Wohnungen wären wohl betroffen - rund 15 Prozent des Bestandes an Mietwohnungen in Berlin. Wie ihr Name schon sagt, hat es die Initiative vor allem auf ein Unternehmen abgesehen: Die Deutsche Wohnen SE. Der börsennotierte Konzern besitzt bundesweit 163 000 Wohnungen, darunter 116 000 im Raum Berlin.
Wie hoch wäre die Entschädigung?
Nach einer Schätzung des Berliner Senats würde eine Vergesellschaftung mit Entschädigung das ohnehin hoch verschuldete Berlin zwischen 28 und 36 Milliarden Euro kosten. Die Initiatoren des Volksbegehrens setzen etwa 8 Milliarden Euro an. «Die Entschädigung könnte vollständig aus den Mieten refinanziert werden, ohne den Landeshaushalt zu belasten», sagt Sprecher Rouzbeh Taheri.
Wie läuft das Volksbegehren genau ab?
Um das Volksbegehren zu beantragen, hatte die Initiative bereits 2019 gut 77 000 Unterschriften gesammelt - mindestens 20 000 waren nötig. Nach mehr als einjähriger juristischer Prüfung gab der rot-rot-grüne Senat grünes Licht, laut Gesetz musste die Initiative aber noch abwarten, ob das Berliner Abgeordnetenhaus ihr Anliegen übernimmt. Da das nicht geschah, startet nun das eigentliche Volksbegehren.
Zustande kommt es, wenn mindestens sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten innerhalb von vier Monaten zustimmen. Das sind etwa 170 000 Berliner. In dem Fall mündet das Begehren in einen Volksentscheid. Der könnte parallel zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl am 26. September stattfinden. Ein Beschlussentwurf wäre angenommen, wenn die Mehrheit der Wähler und zugleich mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten mit «Ja» stimmt.
Sollte das alles so klappen, käme dann ein Enteignungsgesetz?
Über die Frage der Verbindlichkeit eines erfolgreichen Volksentscheides lässt sich streiten, da nicht über einen konkreten Gesetzentwurf abgestimmt wird. Eigentlich wollte die Initiative den Senat «zur Erarbeitung eines Gesetzes» auffordern. Nach Verhandlungen mit der Politik wurde dieser Passus im Beschlusstext, über den abgestimmt werden soll, geändert. Dort wird der Senat nun aufgefordert, «alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz erforderlich sind».
Wie steht die Berliner Politik zu dem Volksbegehren?
Die rot-rot-grüne Koalition konnte sich nicht auf eine Linie einigen, die SPD ist gegen Vergesellschaftung. «Ich finde es richtig, dass wir den Wohnungsbestand der öffentlichen Hand deutlich erhöhen. Aber ich halte Enteignung nicht für das richtige Mittel», sagte die Bundesfamilienministerin und SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey der dpa. Die Linke will hingegen aktiv bei der Unterschriftensammlung mithelfen. CDU, FDP, AfD und Teile der Grünen lehnen das Vorhaben ab.
Und was sagt die Wirtschaft?
Wirtschaftsvertreter warnen schon seit längerem vor einem «Tabubruch». Schon die Debatte über Enteignungen schrecke Investoren ab. Das Instrument sei zur Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt «völlig ungeeignet», sagt Maren Kern vom Verband Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Dringend nötig sei mehr - auch geförderter - Wohnungsbau. Deutsche Wohnen-Vorstandschef Michael Zahn sprach schon 2019 vom «Versuch einer unrechtmäßigen Enteignung».
Artikel 14 Grundgesetz... »
Artikel 15 Grundgesetz... »
Beschlusstext... »
Begründung der Initiative für ihr Vorhaben... »
Infos Senat zu Volksbegehren/Volksentscheiden in Berlin... »