21. Juni 2020 – dpa

Was Giraffen im Schlaf verraten...

Gestresst oder nicht? Im Tierpark Berlin kann Biologe Florian Sicks aus dem Schlafverhalten der Giraffen eine Menge ablesen....

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Florian Sicks, Biologe und Kurator im Berliner Tierpark, Foto: Rene Jaschke/Tierpark Berlin/dpa

Acht Stunden Schlaf. Für Giraffen wäre das ein Traum. Die sanftmütigen und sensiblen Tiere schlafen innerhalb von 24 Stunden nur etwa 4,5 - und das noch nicht einmal am Stück. «Das liegt auch an ihrer enormen Größe und an ihrer energiearmen Nahrung aus Blättern», sagt Florian Sicks, Biologe und Kurator im Tierpark Berlin zum Tag des Schlafs am Sonntag. Giraffen brauchen eben viel Zeit zum Fressen.

Anders als ein Löwe, der nach einer fetten Fleischmahlzeit gern stundenlang ruht, können sich Giraffen in der Savanne nicht mal eben für ein Nickerchen zurückziehen. Dafür haben die schlanken Paarhufer mit gemustertem Fell zu viele Feinde. «Sie stehen ja immer rum wie ein Leuchtturm», sagt Sicks. Er hat das Schlafverhalten seiner Lieblingstiere aber noch aus einem anderen Grund studiert: Wie eine Giraffe schlafe, sage viel über ihr Wohlbefinden aus. Für Zoos sei das wichtig.

Nach Angaben der Tierrechtsorganisation Peta starben zwischen 2007 bis Mitte 2019 rund 40 Giraffen in deutschen Zoos oder beim Transport zwischen den Tierparks. Viele seien nicht einmal zehn Jahre alt geworden. Peta kritisiert die Haltung der scheuen Tiere in Gefangenschaft als unnatürlich und tierschutzwidrig. Anderen Experten gelten Zoos dagegen als Refugium für Tiere, die in der Wildnis stark bedroht sind - nicht allein vom Menschen: Im natürlichen Lebensraum gelten die harten Gesetze vom Fressen und Gefressenwerden.

Wildtiere verlören auch in Gehegen ihre Instinkte nicht, sagt Sicks. «Sie würden nicht zeigen, wenn sie Stress haben. Jede Schwäche könnte ein Feind ausnutzen», erläutert der 40-jährige Biologe. Bisher helfen sich Zoos oft damit, das Stresshormon Cortisol im Blut oder Kot der Tiere zu messen, um etwas über ihre Belastung zu erfahren. Sicks fand schon in seiner Promotion über Giraffen heraus, dass sich in ihrem Schlafverhalten weitaus mehr widerspiegeln kann: Stress, aber auch eine Krankheit oder Verletzung.

Wie beim Menschen folgt auch bei Giraffen auf Tiefschlaf eine REM-Phase. Die Abkürzung steht für Rapid Eye Movement - rege Augenbewegungen. Giraffen legen ihren langen Hals dafür im Liegen auf ihrer Flanke ab. Vor allem Veränderungen im individuellen Schlafrhythmus der Tiere könnten einen Hinweise auf Veränderungen im Wohlbefinden geben, sagt Sicks: Aufregung könne zu weniger Schlaf führen, Krankheit zu mehr.

Sicks hat sich mehr als 600 Giraffen-Nächte angesehen, die Zoos per Kamera aufzeichneten. «Nach Transporten sind Giraffen als Gewohnheitstiere besonders gestresst», berichtet er. Sie schliefen dann tagelang kaum oder gar nicht. Auch Änderungen in der Herdenstruktur könnten Irritationen auslösen. Eine Giraffenkuh schlief sogar drei Wochen nicht, nachdem ihr Partner nach langen gemeinsamen Jahren gestorben war. «Wir können natürlich nicht sagen, ob das Trauer ist oder eine andere Form von Unruhe - aber es war sehr auffällig», erläutert Sicks.

Einem Jungtier im Frankfurter Zoo haben Schlafstudien wahrscheinlich das Leben gerettet. Bei einem zwei Jahre zuvor gestorbenen Geschwistertier hatten Mitarbeiter beobachtet, dass es kurz vor seinem Tod viel mehr REM-Schlaf hielt als das von gesunden Giraffenjungen bekannt war. Die Obduktion ergab, dass es an Unterernährung starb. Deshalb fütterte der Zoo nun Milch zu. «Keine 24 Stunden nach der ersten Flasche hatte sich das REM-Schlaf Muster der kleinen Giraffe wieder normalisiert», berichtet Sicks.

Im Berliner Zoo leben zwei Giraffen-Junggesellen. Im Tierpark sind es acht Tiere, darunter der kleine Bulle Henri, der Anfang Juni zur Welt kam. Doch so manches Mal klingelt bei Sicks nun das Telefon, wenn andere Zoos etwas über die Verfassung ihrer gefleckten Langhälse wissen möchten. Er gilt durch seine Forschung als Spezialist.

In freier Wildbahn in ihrer Heimat Afrika sind Giraffen, die mit bis zu sechs Meter Höhe und 1600 Kilogramm Gewicht mehrere Jahrzehnte alt werden können, zunehmend bedroht. Die Bestände haben sich in den vergangenen 30 Jahren nach Angaben der Weltnaturschutzunion Icun mehr als halbiert. Mit rund 68 000 verbliebenen Tieren steht die Giraffe seit 2016 als gefährdet auf der Roten Icun-Liste. Als Hauptgrund gilt Wilderei, dazu kommen aber auch die intensivierte Landwirtschaft und der Bergbau, die Giraffen Lebensraum nehmen.

Der 21. Juni ist der längste Tag des Jahres - und es ist auch der Tag der Giraffe. All ihre Geheimnisse haben die Langhälse noch nicht preisgegeben. Auch im Tierpark Berlin wird daran geforscht, wie Giraffen untereinander kommunizieren. Ihr Brummen könnten auch Menschen hören, sagt Sicks. Dass sich Giraffen auch unterhalb des menschlichen Hörvermögens im Infraschall verständigten, werde gern vermutet. Bewiesen sei es bisher aber nicht.

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